Naturhistorisches Museum Bern, Meteoriten-Forschung im Oman

Glücksfälle vor der eigenen Haustüre und in der Wüste

Forschung

Der Leiter der Erdwissenschaften, Beda Hofmann, ist eine internationale Kapazität auf dem Gebiet der Meteoritenforschung. Einen Namen geschaffen hat er sich mit seinen Suchkampagnen auf dem Twannberg und im Oman, die etliche bedeutende Funde zutage förderten.

Vor rund 200 000 Jahren muss es über dem Twannberg und den angrenzenden Jurahöhen Eisenbrocken geregnet haben. Und zwar in rauen Mengen. Wissenschaftler des Naturhistorischen Museums Bern (NMBE) und des Physikalischen Instituts der Universität Bern sowie etliche private Meteoritensammler haben in den letzten Jahren in dem Gebiet nördlich des Bielersees gegen 1000 Fragmente eines Asteroiden gefunden. Besonders erfolgreich waren die «Jäger des verlorenen Schatzes», wie das NMBE die bunt gemischte Forschercrew in einer Sonderausstellung zum Twannberg-Meteorit liebevoll bezeichnet hat, am und auf dem Mont Sujet, wo sie ein weitgehend intaktes Streufeld ausmachten. Aufgrund der vorliegenden Trümmerteile gilt als gesichert, dass der Asteroid vor der Explosion einen Durchmesser von 4 bis 20 Meter hatte und mindestens 250 Tonnen schwer war. «Ein derartiger Fund direkt vor unserer Haustüre ist ein absoluter Glücksfall», schwärmt Beda Hofmann.

1984, als eine Bäuerin auf einem Feld das erste Fragment fand, hatte noch nichts auf einen grösseren Steinhagel in längst vergangenen Zeiten hingedeutet. Es brauchte schon die Hartnäckigkeit und Neugierde von Marc Jost, der ein zweites Überbleibsel des Eisenmeteoriten auf einem Estrich fand und sich so erst für Meteoriten zu interessieren begann. Der Zufallsfund machte den gelernten Schreiner zum Meteoritenjäger. Bei der Entdeckung des Twannberg-Meteorits spielte er eine grosse Rolle. Nicht nur, weil er über Jahre mit Spaten und Metalldetektor durchs Gebiet streifte und etliche Stücke fand – dank seinen Kontakten in die Meteoritenjäger-Szene beteiligten sich insgesamt über 50 Sammler aus der ganzen Welt an den Sucharbeiten. Damit diese wissenschaftliche Sensation überhaupt zum Vorschein kam, bedarf es aber unzähligen anderen Beteiligten: So waren es Manuel Eggimann und Hannes Weiss, die eine grosse Fundserie in der Twannbachschlucht machten. Dies erst führte Hofmann zur Erkenntnis , dass in der Region Twannberg einst ein Eisenmeteoritenschauer niedergegangen war. Er übernahm die Führung einer Gruppe von Wissenschaftlern und Meteoritensammlern, die sich gemeinsam auf die Jagd nach verborgenen Steinen machten. In den Jahren 2014 bis 2016 wurden fünf Suchkampagnen durchgeführt, die nicht nur sehr erfolgreich waren, sondern auch den gegenseitigen Respekt stärkten. «Ohne die Ausdauer und Beharrlichkeit der Sammler, die zum Teil auch unzählige Stunden und Tage allein unterwegs waren, hätten wir nie derart viele Funde gemacht», sagt Hofmann.

Einen Teil der Fragmente präsentierte das NMBE an der einjährigen Sonderausstellung zum Twannberg-Meteoriten, die im August 2017 endete. Sie war der vorläufige Höhepunkt eines Projekts, welches sich in absehbarer Zeit räumlich Richtung Neuenburgersee verschieben könnte. «Dort ist vielleicht eine Chance vorhanden, weitere grosse Funde zu machen», sagt Hofmann.

Der Twannberg Meteorit

Was den Twannberg Meteoriten so aussergewöhnlich macht:

  • In der Schweiz ist er der grösste von den acht bekannten Meteoriten; zugleich ist er der einzige, von dem es mehrere Fragmente gibt – also ein Streufeld bekannt ist.
  • Er gehört europaweit zu den grössten Meteoriten-Streufeldern.
  • Er bildet zusammen mit Morasko (Polen) und Muonionalusta (Schweden) eines der bedeutendsten Eisen-Streufelder in Europa.
  • Er besteht aus Eisen mit einem besonders geringen Nickel-Anteil. Von diesem Meteoritentyp gibt es weltweit nur sechs Exemplare. Sie entstanden bereits rund 2 Millionen Jahre nach der Geburt des Sonnensystems vor 4,567 Milliarden Jahren.

Das Projekt Oman

Beda Hofmann hat für sich den idealen Ort gefunden, um dem hiesigen Winter für ein paar Wochen zu entfliehen. Wenn die Bäume vor Kälte starr sind, befindet er sich auf Wüstenexpedition. Der Forschungsdrang führt ihn seit 2001 in die Wüste des Omans oder Saudiarabiens, wo er in Begleitung eines mehrköpfigen Teams nach Steinen aus dem All sucht. Die Exkursionen haben abenteuerlichen Charakter. Mit Geländewagen geht es in ein Gebiet, welches flächenmässig grösser ist als die Schweiz. Tagsüber halten die Wissenschaftler stundenlang Ausschau nach ausserirdischem Gestein. Abends biwakiert die Gruppe irgendwo in der Einöde. Geschlafen wird auf einfachen Feldbetten im Freien – bei Temperaturen, die manchmal nur knapp über null Grad liegen.

Die ausgeblasenen Kalkböden in der Wüste des Omans sind für die Wissenschaftler ein ideales Betätigungsfeld, weil sich im hellen Sand die schwarzen Steine, Kiesel und Krümel von blossem Auge aufspüren lassen. Entsprechend umfangreich ist in der Zwischenzeit die Sammlung der Forschungsgruppe unter der Leitung von Hofmann und seines Genfer Kollegen Edwin Gnos. Aktuell (2017) zählt die Oman-Meteoriten-Spezialsammlung, welche als einzigartig gilt, über 6000 Gesteinsproben. «Es gibt weltweit keine vergleichbare Sammlung aus einem heissen Wüstengebiet», weiss Hofmann. Die rund 1000 Fallereignisse, welche dank den zahlreichen Funden nachgewiesen werden können, entsprechen ungefähr der Zahl der Fallereignisse, welche in den letzten 200 Jahren irgendwo auf der Erde beobachtet wurden. Die Reisen in den Oman und das benachbarte Saudiarabien haben nebst den zum Teil spektakulären Funden auch zu einem beträchtlichen wissenschaftlichen Output geführt. Rund 30 Publikationen in Fachzeitschriften, über 70 Referate und ein Dutzend Uni-Abschlussarbeiten hat Hofmann in einer Datenbank gespeichert.

Ein Ende des Forschungsprojekts, welches seit Anbeginn vom Sultanat Oman offiziell begleitet wird, ist vorerst nicht in Sicht. Bis dato (2017) haben Meteoritenforscher erst knapp drei Prozent des gesamten Einsatzgebietes von rund 50000 km2 systematisch abgesucht. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass Hofmann noch etliche Monate in der Wüste verbringen wird.

Die 5 wichtigsten Funde im Oman
  1. Sayh al Uhaymir (SaU) 094, Marsmeteorit, 223 g, gefunden am 8.2.2001. Dieser Trümmerteil ist Teil eines Streufeldes von mehreren Marsmeteoriten.
  2. Sayh al Uhaymir (SaU) 169, Mondmeteorit, 206 g, gefunden am 16.2.2002. Dieser Meteorit besteht aus sogenanntem KREEP-Material, welches beim Erstarren des Mondes zuallerletzt kristallisiert ist. KREEP ist an Uran und Thorium stark angereichert.
  3. Shisr 043, Eisenmeteorit, 8,4 kg, gefunden am 21.1.2003. Es ist der bis dato einzige frische Eisenmeteorit aus dem Oman unter mehr als 3900 Exemplaren in der Datenbank der Meteoritical Society.
  4. Streufeld Jiddat al Harasis (JaH) 073, entdeckt im Januar 2002. Grosser Steinmeteoritenschauer (Chrondrit L6) vor rund 15000 Jahren, der sich über ein Gebiet von 19 mal 6 Kilometer erstreckte.
  5. Streufeld Jiddat al Harasis (JaH) 091, entdeckt im Oktober 2002. Grösstes Streufeld im Oman, mit 52 Kilometern Länge auch eines der ganz grossen weltweit. Die über 700 gefundenen Steine wiegen zusammen mindestens 4,5 Tonnen. Das Fallereignis hat die gleiche Grössenordnung wie der Steinregen, der am 15. Februar 2013 in der Region der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk niederging.
Wichtige CH-Exponate

Rafrüti: Beim Rafrüti handelt es sich um den ersten Meteoritenfund in der Schweiz. Finder ist 1886 der Landwirt Andreas Zürcher, der im Gebiet der Lüderenalp beim Umgraben eines Kartoffelackers auf einen rostigen Eisenblock stösst. Jahrelang dient der schwere Brocken der armen Bauernfamilie als Heizkörper. Erst als der Sekundarlehrer Fritz Wiedmer aus Wasen im Emmental von dem seltenen Stein erfährt, kommt Bewegung in die Sache. Via den geschäftstüchtigen Posthalter Fritz Meister gelangt der Meteorit um 1900 in den Besitz des Naturhistorischen Museums. Das Stück hat eine Masse von zirka 18,2 Kilogramm. Er hat den geringsten Gehalt an Iridium aller bekannten Eisenmeteoriten.

Ulmiz: Der Ulmiz ist ein Steinmeteorit. Die 10 Bruchstücke im Gesamtgewicht von 76,5 Gramm sind Teil eines Steinmeteoriten, der am Weihnachtstag 1926 auf dem Vorplatz eines Bauernhofs in Ulmiz aufprallte. Er besteht überwiegend aus den Mineralien Olivin und Enstatit.

Utzenstorf: Der Steinmeteorit Utzenstorf besteht aus drei Teilen mit einem Gesamtgewicht von 3,422 Kilogramm. Es ist ein Chondrit mit den Hauptmineralien Olivin, Enstatit, Nickeleisen und Troilit. Die Brocken stammen von einem Fall, welcher am 16. August 1928 in Utzenstorf beobachtet wurde.

Black Beauty: einmaliger Marsmeteorit (NWA 7906, 7907, gepaart mit NWA 7034). Die Reise von Black Beauty begann vor Millionen von Jahren auf dem Mars. Eines Tages schlug dort ein Asteroid ein und katapultierte den Stein ins All hinaus. Und zwar so weit, dass er nicht auf den Roten Planeten zurückfiel, sondern auf eine Bahn in Richtung Erde gelangte und schliesslich im Gebiet der Westsahara niederging. Hier fand ihn ein Beduine, der den Stein in Marokko dem Berner Meteoritensammler Marc Jost verkaufte. Weil es sich bei Black Beauty um eine absolute Rarität handelt, war das NMBE bereit, tief in die Tasche zu greifen – möglich wurde der Kauf dank der Unterstützung des Museumsvereins. Die Anschaffung des nur knapp über 80 Gramm schweren Meteoriten kostete 165000 Franken. Beda Hofmann rechnet damit, dass Black Beauty ihn und sein Forschungsteam noch jahrzehntelang beschäftigen wird. «Er wird uns sicher Erkenntnisse zum Mars liefern, die uns bisher verborgen geblieben sind.»