Von den Anfängen bis heute: Alles begann mit der «Vögelibibliothek»

Geschichte

Naturhistorisches Museum Bern, Geschichte, Tierpräparator Ruprecht und Lehrling sind am arbeiten
Der Präparator Georg Ruprecht und sein Lehrling Walter Schlier schufen sich ihr eigenes Reich in den Kellerräumen. NMBE
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Das Naturhistorische Museum Bern ist das älteste Museum in Bern. Es hat sich mit den Dioramen von afrikanischen Grosswildtieren und inländischer Fauna einen Namen gemacht. In jüngerer Zeit hat das Haus mit zeitgenössischen Ausstellungen und unkonventionellen Veranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht.

Das Naturhistorische Museum Bern gehört zu den bedeutendsten Naturmuseen der Schweiz. Seine historischen Diorama-Ausstellungen mit Tierpräparaten aus der Schweiz, Afrika, Nordamerika oder Asien sind in Europa einmalig und haben zum internationalen Ruf des Hauses beigetragen. Zu den bekanntesten Sammlungsobjekten zählen Barry, der weltberühmte Rettungshund, dem das Haus eine eigene Ausstellung gewidmet hat, sowie die beeindruckenden Riesenkristalle vom Planggenstock.

Insgesamt umfasst die Museumssammlung rund 6,5 Millionen Objekte. Sie ist nicht nur das Herzstück des Museums, sondern auch ein wichtiger Ausgangspunkt für die hausinterne Forschung. Ein Teil der umfassenden Nasssammlung ist in der Dauerausstellung «Wunderkammer» der Öffentlichkeit zugänglich. Darüber hinaus ist Berns ältestes Museum bekannt für seine attraktiven thematischen Ausstellungen an der Schnittstelle von Wissenschaft, Gesellschaft und Kultur. Dazu gehören Ausstellungen wie «Weltuntergang – Ende ohne Ende» oder «Queer – Vielfalt ist unsere Natur».

Das NMBE ist ein ausgesprochenes Familienmuseum mit vielen spannenden und lehrreichen Angeboten für Kinder, Jugendliche und Schulklassen. Unkonventionelle Kultur-Events gelten als Anziehungspunkte für Alt und Jung, so zum Beispiel unterhaltsame Wissenschaftsshows, kulturelle Aufführungen im Skelettsaal oder kulinarische Angebote zwischen Tierpräparaten. Aber blenden wir zurück.

Am Anfang des Naturhistorischen Museum Bern (NMBE) steht ein Naturalienkabinett, das schon Ende des 17. Jahrhunderts in der Stadtbibliothek eingerichtet wird. Um für die wachsenden Sammlungen an Mineralien, Gesteinen, Münzen, Herbarien und Conchylien (Weichtier-Schalen) genügend Platz zu schaffen, wird eine repräsentative Galerie an die Bibliothek angebaut (1773-75). Der umfangreichen Vogelsammlung des Pfarrers Daniel Sprüngli ist es zu verdanken, dass die Ausstellungsräume im Volksmund «Vögelibibliothek» genannt wurden.

Die offizielle Gründung des NMBE geht auf das Jahr 1832 zurück, als der Stadtrat beschloss, eine von der Bibliothekskommission unabhängige Museumskommission zu etablieren. Vor der Loslösung waren die naturkundlichen Objekte vereint gewesen mit der historischen und der ethnographischen Sammlung. Damit gilt das NMBE als ältestes Museum in Bern.

Die nächste wichtige Weichenstellung für die Entwicklung des NMBE stellt der Ausscheidungsvertrag von 1852 dar. Im Zuge der Aufteilung der Besitztümer des alten Stadtstaates Bern wird die Burgergemeinde zur alleinigen Eigentümerin der Museumssammlungen. Dem NMBE bleiben nach der Abtrennung der Herbarien, die im neuen Botanischen Garten untergebracht werden, die erdwissenschaftlichen und die zoologischen Sammlungsteile.

Platznot zwingt zu Umzügen

Das NMBE hat im Verlauf seiner bald 200-jährigen Geschichte insgesamt dreimal wegen Platzmangels umziehen müssen: Von der Bibliotheksgalerie ging es 1882 in einen Neubau gegenüber dem Kunstmuseum; 1936 wurde das heute noch bestehende Museum an der Bernastrasse eröffnet. Dem Bau an der Bernastrasse ging ein Landabtausch mit der Obertelegraphendirektion voraus, die die Liegenschaft an der Hodlerstrasse erstand, um ein eigenes Erweiterungsprojekt zu verwirklichen. Der Erlös ermöglichte der Burgergemeinde, auf dem neu erworbenen Grundstück zwischen dem Historischen Museum und der Landesbibliothek ein hufeisenförmiges Gebäude mit insgesamt fünf Stockwerken zu errichten, das den stark veränderten Nutzungsansprüchen mit den Dioramenlandschaften entsprach. Punkto Architektur gilt es als exemplarisches Beispiel der Moderne. «Das Naturhistorische Museum, das in der direkten Umsetzung seines zweckdienlichen Konzepts viel mit einem Industriebau gemeinsam hat, ist in seiner aufgeklärten, jeglicher Monumentalität abholden Sachlichkeit ein wichtiger Beitrag zur Schweizer Moderne.» (Schweiz. Architekturführer 1992-96).

Der Einfluss der Dioramen

Wer weiss, welche Entwicklung das NMBE genommen hätte, wäre nicht Anfang des 20. Jahrhunderts der Grosswildjäger Bernard von Wattenwyl an die burgerliche Institution gelangt. Der in London lebende Bernburger bot dem Haus an, die ganze Jagdbeute einer geplanten Afrikaexpedition zu überlassen, wenn dieses die Frachtkosten bezahlte. Um die Tiere der Öffentlichkeit zu präsentieren, schlug er die Einrichtung von Dioramen vor. Das sind grosse Schaukästen, in denen die Tiere vor einem gemalten Hintergrund inmitten ihrer idealisierten Umgebung zu sehen sind.

Das Museum nahm das Angebot an, und von Wattenwyl reiste 1923 nach Ostafrika. Nach seinem tragischen Tod führte seine Tochter Vivienne, die ihn auf der Expedition begleitete, das abenteuerliche Unterfangen zu Ende. Sie verhalf dem NMBE zu 134 Fellen, Schädeln und Gehörnen von 53 Säugetierarten. Von Wattenwyls Hinterlassenschaft hat die Weiterentwicklung des Museums massgeblich beeinflusst. Auf die Eröffnung des Wattenwyl-Saals (1936) folgte innert Kürze die insektenkundliche Schausammlung, der Mineralogiesaal, der Paläontologiesaal und das Heimatmuseum. Das NMBE war zu einem Schaumuseum geworden, das viel Publikum aus nah und fern anzog.

Der Neubau wird zum Altbau

Mit den Jahrzehnten genügte das Gebäude nicht mehr den Ansprüchen des gewachsenen Museums. Bei der Eröffnung des Baus an der Bernastrasse beschäftigte das Museum zehn Angestellte, 1984 waren es bereits 34 Mitarbeiter geworden. Das Haus war als «Schaumuseum» mit permanenten Dioramenausstellungen ausgerichtet gewesen – es mangelte nicht nur an Platz für thematische Wechselausstellungen, sondern etwa auch an Arbeitsräumen.

Der Neubau, der 1998 eröffnet wurde, war daher ein weiterer Meilenstein für die Institution der Burgergemeinde. Die Erweiterung gegen die Ostseite gestattete es, endlich die längst erforderliche Infrastruktur zu schaffen, die Planungsfehler von 1932 zu korrigieren und das Museum für den Schritt ins neue Jahrtausend vorzubereiten.

Die architekturhistorische Bedeutung des in den 1930er-Jahren erstellten Gebäudekomplexes bildete die Ausgangslage für das Erweiterungs- und Umbauprojekts in den 1990er-Jahren. Der Publikumsbereich und die Diensträume wurden ebenso wie die wissenschaftlichen und die Schausammlungen räumlich getrennt. Im Keller wurden über Etagen moderne Depoträume geschaffen, die beste Lagerungsbedingungen für die inzwischen 6,5 Millionen Objekte bieten. Endlich hatte das NMBE genügend Arbeitsräume, Labors und Ateliers für die Forschung, in der es sich in den letzten Jahrzehnten einen ausgezeichneten Ruf geschaffen hat.

Hin zum Sinnlichen – das Museum heute

Die Dauerausstellungen wurden nach der Eröffnung des Neubaus 1998 sukzessive erneuert. Hingegen wurden die historischen Dioramen bewusst in ihrem Ursprungszustand belassen, weil sie einerseits zu den wenigen noch vollständig erhaltenen gehören; andererseits, weil sie von hoher gestalterischer und künstlerischer Qualität sind und als schützenswert gelten.

Unter dem aktuellen Direktor Dr. Christoph Beer verpasste sich das Naturhistorische Museum 2011 eine neue Strategie. Ziel ist, mit einer verstärkten Öffentlichkeitsarbeit neue Bevölkerungsschichten ins Haus zu bringen und Naturthemen auf attraktive und überraschende Weise zu vermitteln – weg vom Kopflastigen, hin zum Sinnlichen, lautet die Leitlinie. Im Bereich der Ausstellungen will das Museum mit mehr Sonder- und Temporärschauen eine höhere Dynamik erzeugen. Unkonventionelle Events sind ein weiterer Pfeiler der Strategie. Bis 2019 konnte die Ausstellungsfläche um 1200 Quadratmeter erweitert werden – was es endlich ermöglichte, grössere Sonderschauen zu zeigen.

Historische Persönlichkeiten

Johann Rudolf Zeender (1650–1730)
Er ist der Gründer der ersten öffentlichen naturkundlichen Sammlung in Bern. Als Mitglied des Grossen Burgerrates und der Bibliothekskommission sorgte er dafür, dass 1694 in der Stadtbibliothek Platz geschaffen wurde für ein Naturalienkabinett.

Daniel Sprüngli (1721–1801)
Der renommierte Naturwissenschaftler und Pfarrer besass neben einer Fossiliensammlung die kompletteste Vogelsammlung der Schweiz. Nach seinem Tod wurden die über 200 Vogelarten im Naturalienkabinett aufgestellt. Sprünglis handschriftliches Werk „Ornithologia Helvetica“ wird heute in der Burgerbibliothek Bern aufbewahrt.

Jakob Samuel Wyttenbach (1748–1830)
Der Pfarrer war einer der Pioniere der Berner Naturforschung. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft, einer Vorläuferin der heutigen Schweiz. Akademie der Naturwissenschaften. Der vielseitig interessierte Wissenschaftler lehrte zeitweise am 1798 gegründeten medizinischen Institut der Berner Hochschule.

Samuel Emanuel Studer (1757–1834)
Samuel Emmanuel Studer wird als einer der führenden Weichtierkundler seiner Zeit angesehen, und seine im NMBE aufbewahrte Sammlung ist noch heute für die Fachwelt bedeutsam. Als Mitglied der Bibliothekskommission machte er sich unermüdlich für die naturkundliche Sammlung in der Bibliotheksgalerie stark.

Bernhard Rudolf Studer (1794–1887)
Bernhard Rudolf Studer war an der Universität Bern Professor der Geologie und der Mineralogie. Ein halbes Jahrhundert lang amtete der passionierte Alpinist als Konservator der erdgeschichtlichen Abteilung des NMBE, wobei ihm der Ausbau der regionalen geologischen Sammlungen ein zentrales Anliegen war.

Edmund von Fellenberg (1838–1902)
Der Bergingenieur, Geologe, Mineraloge, Archäologe und Alpinist war Konservator der Ethnographischen Sammlung (1866-1882) und Leiter der erdwissenschaftlichen Abteilung (1888-1899). Einen Ehrenplatz verdient seine mehrere tausend Proben umfassende Sammlung von Mineralien, die er 1881 dem NMBE schenkte. Diese machte aus der eher unbedeutenden Regionalsammlung eine von europäischem Rang.

Theophil Studer (1845–1922)
Theophil Studer war seit 1871 am NMBE angestellt als Konservator, ab 1878 Professor für Zoologie und Vergleichende Anatomie an der Tierarzneischule in Bern. Während 50 Jahren (1872-1922) war er nebenamtlich als Konservator für die zoologischen Sammlungen des Museums zuständig; in dieser Funktion war er Mitglied der Museumskommission, die er von 1911 an bis zu seinem Tod auch präsidierte.

Eduard Gerber (1876–1956)
Eduard Gerber war lange Jahre Leiter der erdwissenschaftlichen Abteilung (1907-1955). Weit über 100 wissenschaftliche Publikationen über die Geologie des Kantons Bern und zu paläontologischen Fragen sind Zeugen seiner Tätigkeit im Museum. Bei der Einrichtung der Ausstellungen im 1934 an der Bernastrasse eröffneten Neugebäude nahm er eine Schlüsselfunktion wahr.

Bernard von Wattenwyl (1877–1924)
Bernard von Wattenwyls war ein begeisterter Jäger, der dem Museum seiner Heimatstadt anbot, afrikanische Grosswildtiere zu Ausstellungszwecken zu jagen. Präsentiert werden sollten die Tiere in Dioramen, das heisst in einer Nachbildung ihres natürlichen Lebensraumes. Die Idee wurde vom damaligen Museumsdirektor Franz Baumann aufgegriffen und realisiert. Sie führte zu einem Neubau, zur Gründung eines Fördervereins und zu einer Neuausrichtung der Museumsaktivitäten. Während der Jagdexpedition kam von Wattenwyl ums Leben, doch seine Tochter Vivienne führte zusammen mit afrikanischen Jägern und Trägern das Unternehmen erfolgreich zu Ende.

Vivienne von Wattenwyl (1900–1957)
Vivienne von Wattenwyl begleitete ihren Vater als junge Frau bei einer Grosssafari in Ostafrika (1923-24). Die erlegten Grosswildtiere stellen sie dem Naturhistorischen Museum Bern zur Verfügung – bis heute eine der bedeutendsten Sammlungen des Museums. Nach dem Tod des Vaters übernimmt die damals 24-Jährige die Leitung der Expedition und kehrt erst nach Hause zurück, als sie im Niltal ein «weisses Nashorn» (Breitmaulnashorn) erlegt hat. Vivienne verarbeitete ihre Erinnerungen in zwei Büchern («Out in the Blue» und «Speak to the Earth»), die in der angelsächsischen Welt grossen Widerhall finden. Ernest Hemingway gehört zu ihren Bewunderern. Später wendete sich Vivienne von der Jagd ab und wird zur überzeugten Naturschützerin. 1957 erliegt sie nach einem zurückgezogenen Leben als Mutter, Journalistin und Schriftstellerin in England einem Krebsleiden. Ihre Biografie ist Stoff des Romans «Die Tochter des Jägers» von Lukas Hartmann und des Balletstücks «Hunting Me» von Cathy Marston, das 2011 am Konzert Theater Bern uraufgeführt wurde.

Franz Baumann (1885–1961)
Als Vorsteher der zoologischen Abteilung leitete Franz Baumann den Museumsneubau an der Bernastrasse und die Reorganisation des Museumsbetriebs, die wegen von Wattenwyls afrikanischen Grosstieren notwendig wurde. Nach dem Erfolg der Afrikadioramen begann Baumann damit, auch die heimischen Säugetiere und Vögel in Dioramen zu präsentieren. 1943 wurde der Zoologe zum ersten vollamtlichen Direktor ernannt.

Georg Ruprecht (1887–1968)
Im Hinblick auf die Präsentation afrikanischer Grosstiere wurde in der Person von Georg Ruprecht ein ausgezeichneter Präparator gefunden. Zusammen mit dem Zeichenlehrer Heinrich Würgler gestaltete er die afrikanischen Landschaftsbilder, in welchen die Tiere gezeigt werden. Obwohl sie beide nie in Afrika gewesen waren und sich bloss auf Schwarzweiss-Fotos abstützen mussten, werden die Dioramen auch von Experten als sehr naturgetreu eingeschätzt.

Walter Huber (1917–1984)
Walter Huber kam 1951 als Konservator für Entomologie ans NMBE. 1964 wurde ihm der Direktorenposten übertragen; bei dieser Gelegenheit wurden die zoologischen Sammlungen des Museums in die Abteilungen Wirbellose Tiere und Wirbeltiere aufgeteilt. Als Museumsdirektor und Wildbiologe bemühte sich Huber erfolgreich um die Errichtung eines Jagdmuseums – des Schweizer Museums für Wild und Jagd im Schloss Landshut (Eröffnung 1968). Sein letztes grosses Planungsprojekt, die Museumserweiterung an der Bernastrasse, wurde erst einige Jahre nach seinem Tod realisiert.

Sammlungen

Die wissenschaftlichen Sammlungen mit über 6 Millionen Objekten befinden sich in zwei Untergeschossen und werden neben unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch von externen Experten benutzt:

  • Wirbeltiere: 68 824 Objekte (davon 27 209 Vögel, 19 954 Säuger)
  • ca. 5.5 Mio. Wirbellose, davon 1 Mio. Schmetterlinge, 600 000 Käfer und 3 Mio. Schnecken und Muscheln
  • Mineralien + Gesteine + Meteoriten gesamt ca. 70 000
  • Fossilien ca. 380 000
  • ältestes Vogelpräparat: Falkenraubmöwe, Thunersee, 1797
  • ältestes Säugetierpräparat: Luchs, 1804
  • grösstes Säugetierpräparat: Finnwal, Skelett, 18,2 m lang, zu sehen in «Die grosse Knochenschau»
  • kleinstes Säugetierpräparat: Etrusker-Spitzmaus, 45mm lang