Luchs (09. Mai 1999 - 17. Oktober 1999   /  14. Mai 2000 - 15. Oktober 2000)

Naturhistorisches Museum Bern

Museumsansicht Queer

Die immer wieder aufflammende Kontroverse um den Luchs hat viel mit der Sicht der Dinge zu tun. Es geht nicht um den immer wieder beschworenen Schaden, den die Luchse anrichten. Es geht nur darum, ob der Luchs im Weltbild Platz hat oder nicht

In der Sonderausstellung «Luchs» werden Fragen aufgeworfen, denen Sie schon lange einmal nachgehen wollten. Wo gibt es die wilde Katze eigentlich in der Schweiz? Sehen die Tiere wirklich mit Luchsaugen? Ist der Luchs tatsächlich eine Bedrohung für die Menschen im Alpenraum? Die letzte Frage zeigt bereits, dass der Luchs für uns mehr ist als eine mittelgrosse Raubkatze mit nettem Pinselohr. Das wirklich Brisante am Luchs ist nämlich das komplizierte Geflecht aus Ängsten, Ablehnung und Faszination, das die Menschen um ihn knüpfen.
Den Luchs kann man in der kleinen Schweiz nicht ohne den Menschen betrachten. Das beginnt in der Ausstellung schon damit, dass zu Beginn gleich Fallen gelegt werden: Um etwas über den Luchs zu erfahren, muss der Mensch ihn zuerst einmal fangen. Zunächst tritt also der Luchs als Forschungsobjekt auf, dann kommt er vor in der Rolle des faszinierenden Wilden, des Sündenbocks, des Fremden oder des wilden Tiers, das Ruhe und Ordnung stört. Der ständig wechselnde Blickwinkel in der Ausstellung zeigt die vielen Bilder, die wir uns vom Luchs machen. Die Kontroverse um den Luchs hat viel mit der Sicht der Dinge zu tun. Es geht nicht um den immer wieder beschworenen Schaden, den die Luchse anrichten. Es geht nur darum, ob der Luchs im Weltbild Platz hat oder nicht.
Ein Brief besorgter Mütter aus dem «Obersimmentaler» im Frühling 1999 zeigt eine Sichtweise, die Luchsen und Menschen im Luchsgebiet das Leben schwer macht. Er zeigt auch, wie weit die Menschen von der Natur und ihren Zusammenhängen entfernt sind. Frisst der Luchs die Kinder? So die bange Frage der Simmentaler Frauen. Weiter wissen sie nicht, wie sie ihren Kleinen erklären sollen, dass der Luchs ein Reh, das ihm doch nichts getan hat, tötet und frisst. Werden die Kinder sich jemals vom Anblick des schrecklich zerrissenen Rehs erholen?

Solches Wehklagen wegen einem toten Reh will gar nicht recht zu gestandenen Landfrauen passen. Tiere sind vor allem zum Melken, Scheren, Schlachten und Essen da, daraus macht niemand ein Geheimnis. Im Grossen und Ganzen hat die Landbevölkerung zu Tieren eine nüchterne Beziehung. Schon kleine Kinder wissen, dass der Metzger ihr liebevoll mit der Flasche aufgezogenes Ferkel im nächsten Winter zu Schinken verarbeiten wird, oder dass das gehätschelte Stierkälbchen eines Tages im Viehtransporter verschwindet.
Weshalb nun die Aufregung, wenn der Luchs ein Reh tötet und frisst? Warum erscheint die wilde Katze hier wie ein Dämon aus einer anderen Welt? Wie kann der Luchs bei diesem Naturverständnis vom Fremden wieder zu einem werden, der dazugehört?
Die Ausstellung will auf diese Fragen nicht einfach eine Antwort liefern. Sie gibt dem Publikum die Möglichkeit, sich seine Sache selber zu denken und der Beziehung des Menschen zum Luchs in eigener Regie nachzuspüren.